Die Geschichte der modernen Tiefengeothermie in Bayern
In Bayern war Erding im Jahr 1998 die erste geothermische Anlage, die Haushalte umweltfreundlich mit Wärme versorgte. Dort wurde 1983 eine Ölbohrung niedergebracht, die jedoch nicht fündig war. Stattdessen fand man Thermalwasser mit ca. 65°C vor. Die Stadt Erding entschied sich 1986, die Bohrung von der Ölfirma zu übernehmen und die Wärme aus der Tiefe zu nutzen. Seitdem folgten 29 weitere Geothermieprojekte in Bayern. Damit stellt das Molassebecken den Hotspot der geothermischen Nutzung in Deutschland dar. Die installierte tiefengeothermische Leistung in Bayern beträgt zurzeit ca. 325 MWth und 40 MWel. Dies entspricht über 90 % bzw. knapp 80 % der deutschlandweit installierten thermischen- und elektrischen Leistung. Dazu wurden zwischen 1998 und 2021 insgesamt 30 Tiefengeothermie-Projekte in Bayern realisiert. Davon werden aktuell 24 Anlagen betrieben, ein Projekt befindet sich in der Konstruktionsphase (Stand November 2021). Bei den Projekten handelt es sich um 15 reine Wärmeprojekte, acht kombinierte Strom- und Wärmesysteme und ein reines Stromprojekt, bei den in Zukunft eine Wärmeauskopplung geplant ist.

Therme Erding, bespeist aus einer 2300 m tiefen Bohrung (Quelle: Therme Erding).
Geologie
In Deutschland gibt es drei geeignete Regionen für die hydrothermale Geothermie. Im Oberrheingraben, im Norddeutschen Becken sowie im Molassebecken befinden sich im tiefen Untergrund grundwasserführende Schichten mit einer Temperatur über 65 °C, die eine direkte Nutzung zu Heizzwecken ermöglichen.
Im Untergrund des Bayerischen Molassebeckens befindet sich der sogenannte Malm. Diese Schicht ist nördlich der Donau an der Oberfläche anzutreffen (Frankenalb) und taucht Richtung Süden in die Tiefe ein, sodass sie unter dem Stadtgebiet von München ca. 3000 m tief liegt und zu den Alpen hin in bis zu 5000-6000 Metern versenkt ist. Das sogenannte Malm-Reservoir ist charakterisiert durch einen geklüfteten Karstporengrundwasserleiter mit generell hoher Wasserverfügbarkeit und kann eine Mächtigkeit bis zu 600 m erreichen. Aufgrund der Tiefenlage im südlichen Teil des Bayerischen Molassebeckens weist das dort anzutreffende Grundwasser günstige Temperaturen für eine geothermische Nutzung auf. Es ist südlich von München sogar so heiß (>100°C), dass neben der Wärmeauskopplung auch Strom produziert werden kann. Durch lokale Wechsel der Reservoir-Beschaffenheit entstehen räumliche Unterschiede in der Fündigkeit, was zur Folge hat, dass je nach Lage im Molassebecken nicht jedes Projekt in Vergangenheit erfolgreich umgesetzt werden konnte.

Lage des Molassebeckens in Deutschland (verändert nach GeotIS: Geothermische Potentiale. Agemar, T., Alten, J., Ganz., B, Kuder J., Kühne, K., Schumacher, S. & Schulz, R. (2014): The Geothermal Information System for Germany – GeotIS – ZDGG Band 165 Heft 2, 129-144)
Schematische Darstellung des Untergrundes von der Donau bis zu den Alpen (Quelle: Geothermie-Allianz Bayern)
Potential
Rund 30 % der CO2-Emissionen Bayerns entfallen auf den Gebäudesektor, wovon der überwiegende Anteil auf die Bereitstellung von Warmwasser und Raumwärme zurückzuführen ist. Um in Bayern bis 2040 klimaneutral zu werden, muss die Wärmebereitstellung durch erneuerbare Energien weiter ausgebaut werden.
Oberflächennahe Geothermie ist technisch weit etabliert und spielt ihre Stärken insbesondere in dünn besiedelten Gebieten aus, die etwa 50 % des gesamten Wärmebedarfs in Bayern ausmachen.
Tiefengeothermie eignet sich insbesondere für die energieeffiziente zentrale Wärmeversorgung in Ballungszentren, da die Anlagen nur wenig Fläche benötigen und leise arbeiten. Die Wärmebereitstellung durch Tiefengeothermie gehört zu den klimafreundlichsten Erneuerbaren Energien mit einem hohen CO2-Vermeidungspotential.
Das berechnete technische Potential der hydrothermalen Tiefengeothermie für Temperaturen <80°C entspricht 7655 MWth. Abschätzungen der Geothermie-Allianz Bayern zeigen, dass damit theoretisch bis zu 40 % des Wärmebedarfs von ganz Bayern gedeckt werden könnte. Um allein die Wärmenachfrage der südbayerischen Städte zu decken, die im Bereich des Molassebeckens liegen, wären zusätzlich zu den heutigen Projekten über 800 Förder- und Injektionsbohrungen (über 400 Dubletten) notwendig.
Soll die Grundlast (35 % der Wärmenachfrage) gedeckt werden, könnte der identifizierte Fernwärmebedarf in Bayern zu 16 % durch Tiefengeothermie bereitgestellt werden. Damit könnten fast 2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr eingespart werden. Will man beispielsweise 70 %- des Wärmebedarfs decken, könnten bis zu 6 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent pro Jahr eingespart werden. Bei den spezifischen Treibhausgasemissionen weist die Tiefengeothermie mit den besten Netto-Vermeidungsfaktor von allen erneuerbaren Wärmetechnologien auf.
Eine stärkere Auslastung einer tiefengeothermischen Anlage führt zu ihrer erhöhten Wirtschaftlichkeit. Zudem ist die Nutzung der im Thermalwasser enthaltenen Energie bis zu einer geringen Temperatur möglich. Daher stellen die Kaskadennutzung in Industrie und Landwirtschaft sowie die Kälteproduktion eine attraktive Möglichkeit dar, um zur verbesserten Auslastung und Wirtschaftlichkeit von Geothermieprojekten und der Dekarbonisierung von Landwirtschafts- und Industrieprozessen beizutragen.

Tiefengeothermisches Potential im Bayerischen Molassebecken. Die Leistung wurde in etwa 8 km²-große Cluster unterteilt, die jeweils eine (hypothetische) geothermische Doublette enthalten. Bereiche mit hoher Unsicherheit sind grau schraffiert, Areale in denen nichtfündige Projekte liegen wurden ausgeschlossen. Die Grenze der Temperatur wurde auf <80°C gesetzt. (Quelle: Geothermie-Allianz Bayern)
Hemmnisse
Der Ausbau der Tiefengeothermie (Bohrung, Kraftwerk, Fernwärmeleitungen sowie ggf. Verbundleitungen) ist geprägt durch hohe Anfangsinvestitionskosten und eine lange Abschreibungsdauer. Dies stellt für viele Kommunen ein Einstiegshindernis dar.
Die Fündigkeit weiterer Geothermiebohrungen und damit die Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg der Tiefengeothermie, lassen sich für das Molassebecken vergleichsweise gut voraussagen. Sie weist hinsichtlich ihrer Prognostizierbarkeit jedoch lokal deutliche Unterschiede auf. Gute Fündigkeitsprognosen sind insbesondere in München, südlich von München und in der östlichen Molasse gegeben, wo es heute bereits eine hohe Anzahl erfolgreicher Bohrungen gibt.
Um auch das Potential in Nordbayern, das keine thermalwasserführenden Grundwasserleiter in entsprechender Tiefe aufweist, sowie in geringdurchlässigen Gesteinen des Molassebeckens zu nutzen, muss die Forschung im Bereich von EGS (Enhanced Geothermal Systems) gestärkt werden. Für eine fundierte Abschätzung des tiefengeothermischen Potenzials außerhalb des Molassebeckens ist teilweise noch wissenschaftliche Grundlagenforschung erforderlich, um zu untersuchen, ob die erforderlichen geologischen Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Nutzung gegeben sind.
In der Vergangenheit ist es in der Umgebung vereinzelter Geothermieprojekte zu mikroseismischen Ereignissen gekommen. Es wird vermutet, dass diese schwachen Erdbewegungen durch Druck und Temperaturänderungen bei der Reinjektion von kühlem Wasser entstehen. Durch die Anpassung des Betriebs lassen sich jedoch spürbare Erdbewegungen minimieren oder auch ganz verhindern. Die im Molassebecken bisher aufgetretenen seismischen Events haben nicht die Stärke erreicht, die bei der geltenden Baunorm zu Gebäudeschäden führen könnte. Dennoch waren die schwachen Erdbewegungen spürbar und zum Teil durch ein lautes Geräusch hörbar. Dies hat in der Bevölkerung vereinzelt zu Verunsicherung geführt.
Anlagen
Tiefengeothermische Projekte in Bayern mit Angaben der thermischen und elektrischen Leistung, der maximalen Tiefe der Bohrungen (TVD) & dem zugänglichen Fernwärmenetz. Angaben u. a. aus BVG, 2020; ITG, 2020; Betreiber-Homepage (Netz & Anschlüsse), Stand Mai 2021. Abkürzungen: KW = Kraftwerk; k.A. Keine Angabe.
Projektname | th. Leistung [MWth] | el. Leistung [MWel] | Tiefe [ m] | Fernwärmenetz [km] |
versorgte Haushalte |
Status (in Betrieb seit) |
Altdorf b. Landshut | – | – | 780 | – | – | ruhend / Nachnutzung1) |
Aschheim- Feldkirchen- Kirchheim | 10,7 | – | 2700 | 80 | 11002) | In Betrieb (2009) |
Dürrnhaar | – | 5,5 | 4114 | Verbindungs-leitung in Planung | – | in Betrieb (2013) |
Erding | 10,2 (633)) | – | 2350 | 38 | 70008) | in Betrieb (1998/2008) |
Garching b. München | 8 (283)) | – | 2227 | 20 | k.A. | in Betrieb (2010) |
Garching a. d. Alz | (6,94)) | 4,9 | 3837 | in Planung | k.A. | in Betrieb (2021) |
Geretsried | – | – | 4852 | – | – | nicht fündig, Nachnutzg.5) |
Holzkirchen | 21 | 4,4 | 5079 | > 25 | k.A. | in Betrieb (2018/2019) |
Haus/Tengling | k.A. | (8-94) | k.A. | k.A. | Im Bau | |
Icking (Dorfen) | – | – | 4500 | – | – | nicht fündig, Forschung |
Ismaning | 7,2 | – | 2195 | > 50 (im Bau) | 10002) | in Betrieb (2013) |
Kirchstockach | (404)) | 6 | 3882 | > 40 | k.A. | in Betrieb (2010/2021) |
Kirchweidach | 12 | (0,54)) | 3500 | 12,6 | > 2006) | in Betrieb (2013/2019) |
Mauerstetten | – | – | 3700 | – | – | nicht fündig, Forschung |
München-Freiham | 13 | – | 2520 | 800 (SWM-Netz) | k.A. | in Betrieb (2016) |
München-Riem | 14 | – | 2747 | Inselnetz (SWM) | ~ 80007) | in Betrieb (2004) |
München-Sendling | (50) | – | 800 (SWM-Netz) | (40.0004)) | im Testbetrieb (2021) | |
Grünwald (Laufzorn) | 40 | 4,3 | 3755 | 64,5 | > 35002) | in Betrieb (2011) |
Poing | 10 | – | 3014 | 30 | 8502) | in Betrieb (2012) |
Pullach | 15 | – | 4012 | 47 | 2000 | in Betrieb (2005) |
Sauerlach | 4 | 5 | 5060 | 27 | 600 | in Betrieb (2014) |
Simbach-Braunau | 9,4 | 0,2 | 1942 | 40 | 810 | in Betrieb (2001) |
Straubing | 2,1 | – | 825 | k.A. | k.A. 8) | in Betrieb (1999) |
Taufkirchen | 35 | 4,3 | 3696 | > 50 | << 12002) | in Betrieb (2013/2018) |
Traunreut | 12 | 5,5 | 4572 | k.A. | 20002) | in Betrieb (2014/2016) |
Unterföhring | 21,3 | – | 2341 | 20 | > 28002) | in Betrieb (2009/2014) |
Unterhaching | 38 | – | 3350 | 49 | > 5700 | in Betrieb (2007) |
Unterschleißheim | 28 | – | 1961 | 13 | 30002) 8) | in Betrieb (2003) |
Waldkraiburg | 14 | – | 2718 | im Bau | k.A. | in Betrieb (2012) |
Weilheim | – | – | 5000 | – | – | nicht fündig, Forschung |
1)Forschung mit Nachnutzungskonzept durch GAB; 2)Haushalte, Gewerbe & öffentliche Gebäude; 3)Gesamtanschlusswert mit z.B. Wärmepumpen und BHKs; 4)Geplante Werte; 5)Eavor-Loop geplant; 6)Wärme hauptsächlich für Gewächshausbetrieb (Fa. Steiner); 7)Messe München und Haushalte; 8)Schwimmbad und Haushalte